Negativitätsverzerrung - Elas Begegnung mit negativer Verstärkung in Grundschulen

Ich möchte heute von einer persönlichen Erfahrung berichten, die mich als Mutter nachdenklich gestimmt hat. Meine Tochter wurde dieses Jahr eingeschult und dieser Schritt markierte nicht nur für sie, sondern auch für unsere Familie eine aufregende Veränderung. Die erste Trennung von ihrem zehn Monate jüngeren Bruder, der eine so starke Bindung zu ihr hat, als wären sie Zwillinge, die Umstellung auf einen strukturierten Schulalltag und die Begegnung mit neuen Gesichtern und Regeln – all das stellt zweifellos eine Herausforderung für Erstklässler:innen dar. Wir nennen es gerne "Herausforderungen außerhalb der Komfortzone", denn als Erwachsene treffen wir bewusste Entscheidungen, während unsere Kinder erst lernen müssen, damit umzugehen.

Meine Tochter ist ein selbstbewusstes und ehrgeiziges Kind, das in einer liebevollen sowie autoritativen Umgebung mit sicherer Bindung aufwächst und sehr offen in ihrer Kommunikation ist. Doch vor Kurzem erzählte sie mir von etwas, das mich nachdenklich machte. Nach nur neun Wochen Schule kam sie nach Hause und berichtete, dass sie einen Eintrag in ihrem Hausaufgabenheft erhalten habe.


Der Eintrag lautete: "Gloria ist heute viel zu spät aus der 'Flitzpause' gekommen."

Meine Tochter erklärte, dass es keine Absicht gewesen sei, zu spät zu kommen. Während der "Flitzpause" war sie mit ihrer Freundin auf der Toilette gewesen und hatte danach sofort den Weg zum Unterricht eingeschlagen. Ihre Offenheit und Ehrlichkeit beeindruckten mich.

Als Mutter schossen mir sofort einige Gedanken durch den Kopf:

  • Ich sollte jetzt nicht laut auflachen und die Autorität der Lehrerin untergraben.

  • Was ist überhaupt eine "Flitzpause"?

  • Was bedeutet "viel zu spät" (meine Tochter konnte es ohne Uhr nicht erklären)?


Sofort wurde mir bewusst, wie unsinnig dieser Eintrag war. Hätte meine Tochter mir nicht davon erzählt, hätte ich ihn wahrscheinlich nie bemerkt. Die Klassenlehrerin hatte uns nie darüber informiert, dass sie ausschließlich negative Mitteilungen im Hausaufgabenheft der Kinder hinterlässt. Nach Nachfragen erzählte mir meine Tochter sogar, dass sie sich nicht erklären konnte, warum sie und ihre Freundin zu spät waren.

Ich erziehe meine Kinder dazu, eigenverantwortlich zu handeln und die Konsequenzen für ihr Verhalten zu tragen, was in der Regel gut funktioniert. Aber wenn nicht einmal die Möglichkeit besteht, erklären zu können, warum man zu spät gekommen ist und über den negativen Eintrag zu sprechen, sollten wir uns nicht wundern, wenn Kinder irgendwann die Lust an Lehrer:innen und Schule verlieren.

Als Systemische Coachin und angehende Psychologin frage ich mich:

  • Warum verstärkt die Lehrerin das negative Verhalten meiner Tochter und teilt es mir nicht mit?

  • Warum gibt es keine positiven Einträge im Hausaufgabenheft?

  • Was bezweckt die Lehrerin mit diesem Eintrag? Erwartet sie, dass wir unser Kind zurechtweisen oder gar bestrafen?

  • Ist es nicht schon aufregend genug für eine Erstklässlerin, zu spät zum Unterricht zu kommen, wenn die ganze Klasse zuschaut und jeder weiß, dass die Lehrerin nicht erfreut ist?

  • Im Schulalter stehen die Anerkennung der Gleichaltrigen und schulische Leistungen im Vordergrund und können soziale Ängste und Bewertungsängste auslösen.

  • Warum setzt die Lehrerin nicht auf positive Pädagogik?

  • Welche Konsequenzen muss meine Tochter ziehen, um keine weiteren Einträge zu erhalten?

Die Antwort schien mir und meiner Tochter recht einfach:

Während der "Flitzpause" herumflitzen und sich im Unterricht melden, wenn man auf die Toilette muss. Der Toilettengang ist ein Grundbedürfnis und ein elementares Recht, das ohne Zeitdruck ausgeübt werden sollte.

Doch was geschieht mit anderen Kindern, denen Ähnliches widerfährt? Kinder, die sich vielleicht nicht trauen, zu Hause darüber zu sprechen, weil sie Angst vor Bestrafung haben? Kinder, deren Grundbedürfnisse mit Fehlverhalten in Verbindung gebracht werden? Eltern, die nicht so widerstandsfähig und selbstbewusst sind, könnten sich fragen, ob ihr Kind ein "Problemkind" ist.

Die Auswirkungen einer solchen negativen Verstärkung auf Eltern, Kinder und Familien sind bedeutsam. Ob sich Lehrer:innen der Tragweite ihrer Handlungen und der damit verbundenen Emotionen bewusst sind, gerade angesichts unserer ersten Erfahrungen in der Schule, ist fraglich.

Es ist an der Zeit, eine positive und transparente Kommunikation in den Schulen zu fördern und neue positive Methoden in den Klassenräumen einzuführen.

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Die Story hinter der Story: Claudi teilt persönliche Erlebnisse und wie alles begann

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